Kognitiver Fallout …

Die Tempel der Götter sind leer und zerfallen.
Stumm sitzend am selben Fleck, die Seele an den Marterpfahl gehängt. Sein wollen, was man nicht ist, sein müssen, was man nicht will – Papa Gott ist verschwunden – jetzt sind wir auf uns alleine gestellt.
Vater Unser, der Du liegst begraben unter Trümmern Deines Wahns – Dein Reich ist abgebrannt, wie im Himmel so auch auf Erden. Sex! Die Erlösung! Doch es ist zur Ware verkommen, liegt wie abgegriffene Pornohefte, verstaubt auf dem Grabbeltisch.
Kognitiver Fallout!
SIE: Ihr welliges Haar bewegt sanft der Wind. Ihre Augen sind hinter einer Sonnenbrille verborgen. Ihre Lippen, aus denen sie spricht, haben die Farben rot aufgehender Sonnen.
Abhandengekommen ist jeglicher Sinn. Das ist doch ehrlich; gegeben hatte es ihn noch nie.
Götzen der Weisheit haben sich erhoben, Ratgeber sind schwer im Kurs. Niederkniend, die Arme werden länger, den Sinn zu ergreifen, hoffnungslos – er ist, wie Gott, genauso stumm. Der Künstler redet plötzlich von Arbeit, will nicht mehr schaffen, will sich verlieren im Labyrinth der Möglichkeiten – legt seine Stirn in Falten, stöhnt, ist erschöpft – sein Werk schon vor der Geburt zerbrochen. Arbeit, Arbeit über alles …
Jemand entführen, sagt sie, nicht um ihn zu berauben, sondern ihn glücklich zu machen. Sie will verführen, das merke ich und sie redet irgendetwas von Weiblichkeit.
Auf den Schaumkronen der Meere thronen neue Herrscher: Plastikflaschen, Aldi-Tüten, ölige Flecken – geschaffen von fleißigen, strebsamen Händen.
Terror ist der Normalzustand – er muss nicht erst erfunden werden. Die Welt sei eine Vagina, genauso unendlich, ertönt ihre helle Stimme. Ihr Mund formt sich zu einem Lächeln, lässt Grüppchen auf ihren Wangen entstehen. Nicht die Ökonomie, die Ökologie sei das Gebot, sie ist es, aus dem Leben sich gebärt.
Sie dreht sich um, als wollte sie dem Meer was erzählen oder aber vielleicht dem Horizont. Kaum hörbar sind ihre Worte: Noch vor dem Frühstück, flüstert sie gegen den Wind, solle ein jeder, sechs unmögliche Gedanken haben, so wie es die Hexe in „Alice im Wunderland“ sagte. Sie dreht sich zurück, das Haar weht ihr ins Gesicht, holt einen Lippenstift aus ihrer Tasche, zieht damit die Farbe nach, presst die Lippen aufeinander und spricht: »Sechs solcher Gedanken, das ist eine attraktive Übung. So lass es uns machen!« Sie hebt die Sonnenbrille hoch, ihre Augen funkeln wie leuchtende Diamanten. »Verführen«, sagt sie, »so wie der Mond das Wasser an sich zieht, hochtreibt zu einer Springflut… Lass uns Komplotte bilden, Kamele reiten, den Träumen entgegen laufen. Immer dort sein, wo keiner uns vermutet.«
Es klingt nach einer Einladung, die Flut in mir setzt sich in Bewegung, doch dann geht sie fort. Der Sand umweht ihre entblößten Waden, kleiner wird ihre Gestalt – noch sehe ich ihr Kleid im Wind flattern – dann ist sie verschwunden. Sechs unmögliche Gedanken! Zurück bleibt ihr leuchtender Mund, bewegend in meinen Sinnen. Die Götter, sie sind alle tot. Ihre Lippen haben mich ergriffen und ungezwungen, wie aus eigener Kraft, faltet sich mein Herz zum Gebet.

Kadee Mazoni –girl_drops-mazoni

1 Comment

  1. Das mit den „Grüppchen“ auf den Wangen hat mich schmunzeln lassen; doch die Gefühlsmalerei im Text hat mich schön in die Phantasie entführt.

    Liebe Grüße,
    Frank

    Gefällt 1 Person

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s