Die Nomadin …

Können wir durch die Zeit gehen, fragt sie mich und ich halte ihre Hand, bleibe stehen, blicke zurück, sehe unsere verwehten Spuren hinter uns; Wind bläst mir ins Gesicht. Stehende Schritte führen in die Leere und jetzt, also jetzt – mehr Jetziges kann es unmöglich geben – da die Wimpern krachend auf und nieder gehen, das Licht neu in die Augen fällt, ist sie einfach fortgegangen. Vor mir blickend, sehe ich, ihre Fussabdrücke, so klein, so zierlich, im weißem Sand der Düne. Meinen Kopf in den Nacken werfend eile ich, um der Verlassenheit die Nahrung zu entziehen, ihr hinterher, suchend eine goldene Antwort auf ihre Frage zu finden.

Wir könnten doch, rufe ich ihr atemlos hinterher, den Punkt, der auf die Dinge gebracht wird, eskalieren und die Kriterien ins Bodenlose stürzen lassen.

Tief vergraben sich meine Schritte in den weichen Untergrund, Langsamkeit überfällt mich, da dreht sie ihr Gesicht, auf das sich das Licht der Sonne bricht, hin zu mir um.

Hoffnungsvoll, ihren Blick, der auf mich gerichtet ist, auszunutzen, grabe ich nach Worten, um ihr nahezukommen, schleppe mich, meine Hände zur Hilfe nehmend zum Hügel, auf dem sie steht, zu ihr hin.

Das Freiheitlichste gedanklich für sie zu finden, ein Meer, was die Inseln trägt, ein Flügel erfinden, der schweigend uns in die Lüfte trägt, stehe ich vor ihr, nehme ihre Hand, streiche mit meinen Fingern darüber. Ihr seidig glänzendes, dunkles Haar, fällt sanft auf ihre Schultern, ein unergründliches Lächeln liegt auf ihrem Gesicht und wie in einem Spiegel leuchtet mir in ihren Augen die ganze Welt entgegen.

Die Haut, so entströmen ihr die Worte zwischen ihren Lippen, sei das Tiefste, es seien nur Körper die leiden könnten. Sie fühle geradezu, setzt sie ihre Erkenntnis fort, wieviel wahrer die Weite und die Oberfläche als der Grund der Dinge sei. Ob es nicht mehr von Leben zeuge, fragt sie, statt in seine eigenen Abgründe zu fallen, statt aus der Liebe ein Grab zu machen, sich weg – und fortzubewegen und jeden Tag zu einem Ereignis werden zu lassen.

Wenn wir geboren werden, so spricht sie zu mir mit einem eigenartigen abwesenden Blick, seien wir das was wir wirklich sind: Ein leeres Gefäß, ohne Bezeichnungen, unabhängig von allen Kategorien, Religionen und Ideologien, nicht einmal ein Individuum seien wir, sondern Lebewesen, berührt und durchdrungen von reiner Wirklichkeit.

Fragend schaue ich sie an, den Sinn ihrer Worte zu erfassen. Doch zögere ich, mit einer Frage oder überhaupt mit Worten das Gefühl, was sie mir beschreibt, zu zerstören.

Wenn ich wachsen will, sagt sie und kommt auf mich zu, muss ich nackend durch ein Blumenfeld gehen um das Ungeheuerliche spüren zu können, was die Blüte zu einer Blüte macht.

Zart streicht sie mit ihrer Hand über mein Gesicht, und als sie sagt, an den Berührungen, die von Außen kämen würden wir uns als Lebewesen selbst verstehen, fühle ich, wie tief meine Haut, von der sie sprach, tatsächlich ist. Stumm stehe ich vor ihr, jedes Wort von mir würde zur Gefangennahme in einem Sinn führen, zu einer Unterbrechung des reinen Seins, indem wir uns gerade befinden.

Weite, flüstert sie mir ins Ohr, so als sei es ein Geheimnis, was niemand, außer uns in dieser menschenleeren Gegend hören soll. Himmel, Sand und Horizont, sie und ich, ein lebendiger Körper, das spüre ich, kein Gestern, kein Heute, kein Morgen – ohne Zeit, den Tod gibt es nicht, Leben durchdringt unsere Poren.

Langsamen Schrittes und das laute Schweigen vernehmend, ziehen wir über den weißen, heißen Sand der Düne entlang. Körper, die sich auf der Erdoberfläche bewegen, fernab von Tiefe und Grund.

Seeluft dringt durch meine Nasenflügel und als wir den Hügel überschreiten, entfaltet sich vor unseren Augen ein weites Meer. Fest drückt sie meine Hand, ängstlich ahne ich was geschehen würde und ziehe sie dicht an mich heran. Befestigt an einem Pfahl, mitten im Wasser, liegt ein, von hohen Wellen zum Schaukeln gebracht, kleines Boot.

Entsetzt rufe ich aus, das würde nicht gehen, niemand könne sich vom Dreck seiner Kultur befreien, Zeit, Tod, Kategorien und all die fürchterlichen Dinge seien in unsere Seelen gebrannt, zu unserer Geburt gäbe es keinen Weg zurück.

Lächelnd schaut sie mich an, Freude steht in ihrem Gesicht und sie entzweit mein Hemd, streicht mit ihren Händen über meine Brust, als will sie darauf Flüsse ziehen, auf denen ich eines Tages zu ihr hin rudern könnte.

Wenn wir nicht in den Mutterschoß zurückkehren können, haucht sie mir entgegen, müssen wir versuchen, wiedergeboren zu werden. Eine Insel, sagt sie, möchte sie finden, getrennt vom Kontinent der Gesetze; eine Insel, die keine Termini kennt, wo die Schöpfung jeden Tag neu beginnt, wo Elemente sich vereinigen, feurige Glut aus Vulkanen mit dem Wasser der Meere spielen. An einem Seil, befestigt am Nirgendwo, möchte sie den Himmel erklimmen; aus ihrem beengten Kokon brechen und schön und bunt, wie ein Schmetterling, sich von Winden und Stürmen treiben lassen.

Lebhaft flammt ihr Antlitz auf, Glück steht darin geschrieben und sie löst sich von meiner Hand, bereit fortzugehen, fort von mir und fort von hier. Barfuss, im dünnen weißem Leinenkleid geht sie hinein in die brausende See, erreicht und steigt in das Boot, löst das Tau, die Verbindung, was sie am Festland hält, hebt triumphierend die Ruder in die Höhe. Noch einmal dreht sie ihren Kopf hin zu mir, ich halte, dort wo sie mich berührte, meine Hand auf meine Brust, verbeuge mich, am Ufer stehend, ihr Respekt zollen tief vor ihr.

Innerlich sage ich zu mir, in dem Glauben, sie könnte es noch hören: gehe hin, flüchtendes Mädchen, wandere ohne je zu finden und erblühe in deinen Bewegungen zu neuem Werden.

Am Ufer stehe ich und sehe zu, wie Meereswogen das kleine Boot auf und nieder drücken, wie die Ruder ins Wasser stechen und das weiße Kleid, das ihren Körper bedeckt sich zu einem Punkt verkleinert und schließlich gänzlich am Horizont verschwindet.

Bis in die Nacht, von sehnsüchtigen Schmerz erfüllt, bleibe ich am Rande des Meeres stehen und vom nächtlichen Himmel, der über mir mit seinen Kristallen leuchtet, pflücke ich einen Stern, den ich ihr, über das inzwischen still gewordene Meer, hinterher werfe.

Die Augen geschlossen, ziehe ich die Meeresluft durch meine Nase, helle Gedanken, duftend wie aufgehende Lilienblüten, durchströmen mein Gemüt; Gedanken, dass sie und ich, umschlossen in Armen der Wiedergeburt, uns wiederfinden mögen.

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