Stummer Schrei …

Nachrichten: ein blutiger Teppich – allmorgendlich – breitet sich vor mir aus. Schreie dringen aus den Schriften, Laute aus der Ferne, Hände strecken sich entgegen. Lautlos und innerlich schreie ich zurück, reiche im Geiste dem Ertrinkenden meine Hand … Doch zu spät, meine Phantasie vermag es nicht, auch nur einen einzelnen zu retten.

Wellen brausen über die Köpfe hinweg, ziehen alle Hoffnungen in gurgelnde Tiefe und die weit aufgerissenen, angsterfüllten Augen werden vom salzigen Meereswasser bedeckt. Das gesegnete Land bleibt unerreichbar, verschwunden ist auch die Heimat.

Der aussichtslose Kampf mit dem Meer beginnt, die Schreie verstummen, füllen sich mit Wasser, wer zuvor seinem Leben nicht viel Wert bemaß, der macht es jetzt. Ewig dauert die Zeit bis zum Tode, länger und unendlich ist sie, länger wahrscheinlich noch, als das Leben zuvor. Dann die Ermattung, ein Aufgeben, ein Nicht-Mehr-Können wollen, die Luft dieser Erde wurde genommen- die Blüten, die Sonne, die Freude, das Leid, die Liebe, die einmal war, die Freunde, die Kindheit, das Spielen, alle Berührungen, die der Ertrinkende einmal empfand – spulen sich ab als Film, als Erinnerung, in diesem Meer voller Rauschen und Luftblasen. Noch einmal wird der Körper an die Oberfläche geraten,  für einen Augenblick verstummt das grausame Gurgeln, die Luft des Lebens,  Balsam unseres Paradies, in dem er leben wollte, berührt sein Gesicht – noch einmal scheint nur kurz die Sonne, trifft das Augenlicht mit hoffnungsvollen Strahlen, vielleicht im Wahn noch ein letztes Lächeln auf den Lippen, ein Bild im Kopf, von dem, was einmal war – dann sinkt der Körper in die Tiefe, das Meer nimmt sich all die Gefühle, all die Gedanken, all die Liebe, nimmt sich den Herzschlag und die Seele, pustet das Leben aus, wie eine Kerze. Ein ganzes Universum geht zugrunde, alle Worte stehen still, alle Erinnerungen sind weiß wie Schnee.

Angespült oder raus geholt wird der Körper, in dem einst ein eigener Gott thronte, ein Körper, indem das Bild der gesamten Menschheit sich befand. Körper über Körper werden ans Land gezogen – Götter über Götter, deren Namen man nicht kennt, Menschen aus einem fernen Land. Jeder einzelne hat eine Geschichte – doch es sind zu viele. Wer wird diese Geschichten je erzählen können?

Der Vorhang zieht sich zu, das allmorgendliche Drama wird mit Werbeeinblendung beendet.  Zurück bleibe ich allein als Nachrichtenempfänger. Mit Tränen im Herzen gehe ich hinaus, öffne die Tür, atme die Luft, atme sie tiefer als zuvor;  diese Luft, die in Übermaßen die Welt erfüllt, diese Luft der Freiheit, die anderen fehlt.

Drowning_Man_by_Janoosh

6 Comments

Hinterlasse einen Kommentar